Aktuelles

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Ein Autofahrer begeht auch dann eine Ordnungswidrigkeit, wenn ein anderer Fahrzeuginsasse mit Billigung des Fahrzeugführers auf seinem Mobiltelefon eine App geöffnet hat, mit der vor Verkehrsüberwachungsmaßnahmen gewarnt wird. Mit dieser Begründung hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe mit Beschluss vom 7. Februar 2023 der Rechtsbeschwerde eines 64 Jahre alten Mannes aus dem Rhein-Neckar-Kreis gegen ein Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 7. Oktober 2022 keine Folge gegeben.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Mann am 31. Januar 2022 mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch Heidelberg. Dabei war ihm bekannt, dass auf dem in der Mittelkonsole abgelegten Smartphone seiner Beifahrerin eine „Blitzer-App“ in Betrieb war. Auf diese Kenntnis des Fahrers schloss das Amtsgericht insbesondere aus dem Umstand, dass er das Mobiltelefon bewusst zur Seite schob, als er von Polizeibeamten wegen seines auffälligen Fahrverhaltens kontrolliert wurde. Das Amtsgericht Heidelberg verhängte deswegen eine Geldbuße in Höhe von 100 Euro gegen den Autofahrer.

In seiner jetzt ergangenen Entscheidung über die Rechtsbeschwerde des Autofahrers hat das Oberlandesgericht Karlsruhe zunächst festgestellt, dass die Beweiswürdigung durch das Amtsgericht Heidelberg keine Rechtsfehler aufweist. Das Oberlandesgericht hat außerdem ausgeführt, dass ein von § 23 Abs. 1c Satz 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verbotenes Verhalten nicht nur dann vorliegt, wenn der Fahrer selbst eine App zur Warnung vor Verkehrsüberwachungsmaßnahmen aktiviert hat. Verboten und bußgeldbewehrt ist vielmehr auch die Nutzung der auf dem Mobiltelefon eines anderen Fahrzeuginsassen installierten und aktivierten „Blitzer-App“, soweit sich der Fahrer die Warnfunktion der App zunutze macht. Es bleibt deshalb bei der Geldbuße von 100 Euro für den Autofahrer.

Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe gibt es keine weiteren Rechtsmittel. Sie ist daher rechtskräftig.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 7. Februar 2023, Aktenzeichen: 2 ORbs 35 Ss 9/23

Vorinstanz: Amtsgericht Heidelberg, Urteil vom 7. Oktober 2022, Aktenzeichen: 15a OWi 570 Js 13458/22

 

Hinweis:

§ 23 Abs. 1c StVO lautet: 

„Wer ein Fahrzeug führt, darf ein technisches Gerät nicht betreiben oder betriebsbereit mitführen, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören. Das gilt insbesondere für Geräte zur Störung oder Anzeige von Geschwindigkeitsmessungen (Radarwarn- oder Laserstörgeräte). Bei anderen technischen Geräten, die neben anderen Nutzungszwecken auch zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen verwendet werden können, dürfen die entsprechenden Gerätefunktionen nicht verwendet werden.“

https://oberlandesgericht-karlsruhe.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Medien/Geldbusse+auch+bei+Nutzung+einer+_Blitzer-App_+durch+eine+Beifahrerin

Verfassungsbeschwerde gegen Blitzer-Bußgeld erfolgreich Das entschied der Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg Urteil vom 16.01.2023, Az. 1 VB 38/18

Wer geblitzt wurde und sich gegen den Bußgeldbescheid wehren möchte, muss die Daten des Messgeräts selbst überprüfen können. Das folgt aus der „Waffengleichheit“ zwischen Behörde und Bürger, entschied der baden-württembergische VerfGH.

Adressaten von Blitzer-Bußgeldbescheiden muss Zugang zu den Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts gewährt werden. 

Vorliegend war dem  betroffenen Autofahrer vorgeworfen worden, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h überschritten zu haben. Ihm wurde deshalb zunächst mit Bußgeldbescheid und anschließend mit Urteil des Amtsgerichtes Mannheim eine Geldbuße in Höhe von 160 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot auferlegt. Während des Bußgeldverfahrens hatte der Mann die Übermittlung der Ermittlungsakte, der Rohmessdaten sowie der Lebensakte und der Wartungs- und Reparaturnachweise des Messgeräts angefordert.  

Die Bußgeldbehörde hatte ihm daraufhin die Ermittlungsakte sowie einige der gewünschten Rohmessdaten zur Verfügung gestellt, eine Einsicht in die Lebensakte und in die Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts erhielt er hingegen nicht. Sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigten die Entscheidung mit der Begründung, die Herausgabe der Unterlagen als Beweiserhebung sei nicht erforderlich und es bestehe kein Anspruch auf Beiziehung der Akten. 

Der Autofahrer legte daraufhin Verfassungsbeschwerde ein, die nun erfolgreich war. Nach Ansicht der Verfassungsrichter stellt die Verweigerung der Einsicht in die Unterlagen durch die Instanzgerichte einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar und ist damit verfassungswidrig. Sie stützen sich dabei auch auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der festgestellt hatte, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folge. Hierbei handele es sich nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen.

Im Rechtsstaat müsse dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen, betonte der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg. Dabei wende sich das Gebot zur fairen Verfahrensgestaltung nicht nur an die Gerichte, sondern auch an die Exekutive. Ein rechtsstaatliches und faires Verfahren fordere „Waffengleichheit“ zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten andererseits. Er müsse daher möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen erhalten, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte. Dazu gehören nach Ansicht des Gerichts auch solche Inhalte, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Dadurch würden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten suchen könne. 

Diese Grundsätze seien von den Vorinstanzen verkannt worden, indem sie die Einsichtsgesuche betreffend die Wartungs- und Reparaturunterlagen als Beweisanträge bewertet und diese im Rahmen der Prüfung einer gerichtlichen Aufklärungspflicht abgelehnt hätten. Der Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen – aber vorhandenen – Informationen verpflichte aber nicht etwa das Gericht, die geforderten Unterlagen aufgrund seiner Aufklärungspflicht beizuziehen, sondern entspringe allein dem Recht des Betroffenen, die Grundlagen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs einzusehen und selbst zu prüfen. 

Das neue Notvertretungsrecht für Ehegatten ab 2023

Zum 1. Januar 2023 wird eine umfangreiche Reform des Betreuungsrechts in Kraft treten. Teil dieser Neuregelung wird die Einführung eines gegenseitigen Vertretungsrechts von Ehegatten in einer Notfallsituation im Bereich der Gesundheitssorge sein. Diese Regelung kommt nur zur Anwendung, wenn die Ehegatten (noch) keine Regelungen zur Vertretung im Erkrankungsfall getroffen haben.

Bisher darf ein Ehegatte den anderen nur vertreten, wenn er über eine Vorsorgevollmacht für den anderen Ehegatten verfügt, die Regelungen zur Gesundheitssorge enthält, oder wenn er vom Betreuungsgericht zum rechtlichen Betreuer des anderen Ehegatten bestellt wurde. Der ab 01.01.2023 in Kraft tretende § 1358 BGB gibt den Ehegatten zukünftig für den Notfall ein gegenseitiges Vertretungsrecht im Bereich der Gesundheitssorge, das allerdings an enge  Voraussetzungen gebunden ist und nur maximal sechs Monate gilt.

Wie ist die zukünftige Notfallregelung für Ehegatten konkret ausgestaltet? 

Kann ein Ehegatte aufgrund einer Erkrankung oder eines Unfalls seine eigenen Angelegenheiten gegenüber Ärzten, der Krankenkasse, einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung nicht alleine regeln, so darf der andere Ehegatte in diesem eng gesteckten Rahmen für ihn tätig werden. Dieses Notvertretungsrecht gilt für längstens sechs Monate. Sollte der betroffene Ehegatte für eine längere Zeit einen rechtlichen Vertreter benötigen, muss ein gesetzlicher Betreuer durch das Betreuungsgericht bestellt werden.

Der Ehegatte, der den erkrankten Ehegatten vertritt, hat im Bereich der Gesundheitssorge einige Rechte. Er darf in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, in Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligen oder diese untersagen. Er erhält hierfür die ärztlichen Aufklärungen, die der erkrankte Ehegatte nicht selbst entgegennehmen kann. Er darf sämtliche erforderlichen Verträge wie bspw. Behandlungsverträge abschließen. Er darf über freiheitsentziehende Maßnahmen im Krankenhaus oder im Heim entscheiden, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet. Er darf Ansprüche des erkrankten Ehegatten geltend machen, die diesem aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen (z.B. gegen einen Unfallgegner). Er darf diese Ansprüche auch an Leistungserbringer wie die Krankenkasse abtreten.

Im Rahmen der vorgenannten Befugnisse des vertretenden Ehegatten sind Ärzte ihm gegenüber von ihrer Schweigepflicht entbunden.

Ab wann beginnt die Sechs-Monats-Frist zu laufen und wie wird sie nachgewiesen?

Tritt die Notsituation ein und wird das Vertretungsrecht erstmals gegenüber einem Arzt geltend gemacht, so hat dieser dem Ehegatten, der den erkrankten Ehegatten vertritt, schriftlich zu bestätigen, dass die Voraussetzungen der Ehegattenvertretung vorliegen. Er hat insbesondere den Zeitpunkt, ab dem das Vertretungsrecht greift, schriftlich zu bestätigen. In dieser schriftlichen Bestätigung durch den Arzt müssen die Voraussetzungen des Ehegattenvertretungsrechts und eventuelle Ausschlussgründe enthalten sein. Der Arzt hat sich ferner von dem vertretenden Ehegatten schriftlich bestätigen zu lassen, dass das Vertretungsrecht bisher noch nicht ausgeübt wurde und kein Ausschlussgrund für das Ehegattenvertretungsrecht vorliegt. Das entsprechende Schriftstück hat der Arzt dem vertretenden Ehegatten zur weiteren Ausübung des Vertretungsrechts zu übergeben. Dieses ist bei allen Vertretungshandlungen im Bereich der Gesundheitssorge im Rahmen des Notvertretungsrechts vorzulegen.

Welche Ausschlussgründe für das Notvertretungsrecht gibt es?

Leben die Ehegatten getrennt, ist die Anwendung des Notvertretungsrechts ausgeschlossen. Ein weiterer Ausschlussgrund liegt vor, wenn dem vertretenden Ehegatten oder dem Arzt bekannt ist, dass der erkrankte Ehegatte es nicht wünscht, dass der andere Ehegatte ihn vertritt.

Gibt es bereits eine Vorsorgevollmacht, in der der Aufgabenbereich „Gesundheitssorge“ geregelt ist, dann scheidet die Anwendung des Notvertretungsrechts ebenfalls aus. Sollte eine Vorsorgevollmacht nicht den Ehegatten, sondern eine andere Person bevollmächtigen, so hat der Ehegatte damit kein Recht, über das Notvertretungsrecht Entscheidungen für den erkrankten Ehegatten zu treffen. Dasselbe gilt, wenn es für den erkrankten Ehegatten bereits einen gesetzlichen Betreuer für den Aufgabenbereich „Gesundheitssorge“ gibt.

Ist die Maximalfrist von sechs Monaten für die „Notvertretung“ bereits abgelaufen, kann sie nicht noch einmal verlängert werden. Ferner darf das Vertretungsrecht ab Bestellung eines gesetzlichen Betreuers mit dem Aufgabenbereich „Gesundheitssorge“ nicht mehr ausgeübt werden.

Macht es trotzt der Neuregelung ab 2023 weiterhin Sinn, dass Ehegatten eine Vorsorgevollmacht erstellen?

Da das Notfallvertretungsrecht nur sehr begrenzte Handlungsmöglichkeiten für maximal sechs Monate bietet, kann hierüber keine umfassende Vertretung in allen Lebensbereichen der Ehegatten erfolgen. Nur wenn eine Vorsorgevollmacht erstellt wird, die sämtliche Aufgabenbereiche umfasst, können die Ehegatten auch in Zukunft sicherstellen, dass sie umfänglich vertreten werden, wenn sie aufgrund einer Erkrankung, eines Unfalls oder zunehmender Gebrechlichkeit nicht mehr für sich selbst sorgen können.  

Mit einer Vorsorgevollmacht wird sowohl der Bereich der Gesundheitssorge als auch der Bereich der Vermögenssorge abgedeckt. Mit der Vorsorgevollmacht hat der Vertreter die Möglichkeit, sämtliche notwendigen Handlungen für denjenigen vorzunehmen, der die Vollmacht erteilt hat. Mit einer notariellen Generalvollmacht wird meist nur der Bereich der Vermögenssorge abgedeckt. Wenn jedoch die Gesundheitssorge hier nicht übertragen wird, muss dafür beim Betreuungsgericht eine rechtliche Betreuung beantragt werden. Um bei Notfällen gut gewappnet zu sein, empfiehlt es sich daher, frühzeitig eine Vorsorgevollmacht und ggf. zugleich eine Patientenverfügung zu errichten.

Quelle: https://www.anwalt.de/rechtstipps/das-neue-notvertretungsrecht-fuer-ehegatten-ab-2023-202714.html

Kein Schulter­blick: Links­abbieger-Radler haftet bei Unfall allein

Fahrrad­fahrer dürfen sich beim Abbiegen nicht darauf verlassen, dass ein Auto anhält. Im Gegenteil: 

Sie sind selbst verpflichtet, sich doppelt umzuschauen. Sonst bleiben sie auf dem Schaden sitzen.

Auch Rad­fahrerinnen und Radfahrer müssen beim Abbiegen doppelt hinter sich schauen – und damit auch eine Eigen­gefährdung durch andere ausschließen. Unterlassen sie dies, müssen sie bei einem Unfall den Schaden allein tragen. Das zeigt ein Fall, der vor dem Oberlandes­gericht Düsseldorf (Az.: 1 U 216/20) verhandelt wurde.

Schulterblick, einordnen, Schulterblick, abbiegen

In dem Fall musste der Radfahrer seinen Schaden allein tragen, das Gericht konnte keine Mitschuld des Autofahrers feststellen. Der Links­abbieger habe die doppelte Rückschau verletzt und sich zuvor auch nicht bis zur Mitte der Straße eingeordnet. Der Autofahrer bestritt, dass der Radfahrer seinen Richtungs­wechsel angezeigt hatte.

Die in der Straßen­verkehrs­ordnung verankerte doppelte Rückschau­pflicht gilt auch für Radfahrer. Jeder muss sich rechtzeitig vor dem Einordnen und dann nochmals unmittelbar vor dem Abbiegen darüber vergewissern, dass der Weg frei ist.

Werkstattinhaber muss sich wegen Beschädigung eines firmeneigenen Fahrzeugs 20 %
Unternehmergewinn bei fiktivem Schadensersatz anrechnen lassen

Landgericht MosbachUrteil vom 31.08.2022
– 5 S 23/22 –

Voraussetzung ist fehlende Auslastung der Werkstatt

Rechnet ein Werkstattinhaber bei der Beschädigung eines firmeneigenen Fahrzeugs seinen Schaden fiktiv auf Gutachtenbasis ab, so muss er sich einen Unternehmer­gewinn­anteil von 20 % anrechnen lassen, wenn die Werkstatt nicht ausgelastet ist. Dies hat das Landgericht Mosbach entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Bei einem Verkehrsunfall wurde das Fahrzeug einer Kfz-Werkstatt beschädigt. Die volle Haftung des Unfallverursachers stand außer Frage. Die Betreiberin der Werkstatt verkaufte das Fahrzeug unrepariert weiter und klagte schließlich gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers auf Zahlung von fiktiven Schadensersatz. Das Amtsgericht Buchen gab der Klage grundsätzlich statt, zog aber einen Betriebsgewinn von 20 % von der Schadenssumme ab. Dagegen richtete sich die Berufung der Werkstattbetreiberin.

Anrechnung des Unternehmergewinns bei fiktiver Schadensabrechnung

Das Landgericht Mosbach bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts. Auch bei einer fiktiven Schadensabrechnung muss sich ein Werkstattinhaber ein Unternehmergewinnanteil von 20 % anrechnen lassen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Werkstatt nicht ausgelastet ist. Das Wirtschaftlichkeitsgebot einschließlich des Grundsatzes der subjetbezogenen Schadenbetrachtung sowie das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern, gelten auch für die fiktive Schadensabrechnung.

Porsche - Kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung wenn anderes Fahrzeug vorhanden

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Beschluss vom 21.07.2022, Az. 11 U 7/21 – veröffentlicht am 5.09.2022

 

Es besteht kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für die Reparaturzeit eines Porsche wegen beschränkten Fahrvergnügens bei möglicher Nutzung eines Ford Mondeo.

 Ist einem Unfallgeschädigten während der Reparaturzeit des beschädigten Fahrzeugs die Nutzung eines Zweitwagens möglich und zumutbar, besteht kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung gegen den Schädiger. Bei Beschädigung eines Porsche 911 ist die Nutzung eines Ford Mondeo für Stadt- und Bürofahrten zumutbar. Die damit verbundene Einschränkung des Fahrvergnügens stellt einen immateriellen und damit nicht ersatzpflichtigen Schaden dar, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichter Entscheidung.

 

Das Fahrzeug des Klägers, ein Porsche 911, wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Der Beklagte haftete für den Schaden vollumfänglich. Der Beklagte glich einen Teil des geltend gemachten Schadens aus. Mit seiner Klage begehrt der Kläger u.a. Ausgleich der verbliebenen Differenz zu den tatsächlich entstandenen Reparaturkosten und Nutzungsentschädigung für 112 Tage Reparaturzeit. Er verweist darauf, dass ihm die Nutzung eines anderen Fahrzeuges nicht möglich bzw. nicht zumutbar gewesen sei. Ihm gehörten zwar noch weitere vier Fahrzeuge. Zwei davon würden jedoch von Familienangehörigen genutzt. Ein Weiteres käme nicht in Betracht, da es in besonderer Weise für Rennen ausgestattet sei. Das vierte Fahrzeug, ein Ford Mondeo, sei für den Stadtverkehr zu sperrig und werde von der ganzen Familie lediglich als Lasten- und Urlaubsfahrzeug genutzt.

 

Das Landgericht hatte der Klage hinsichtlich der Reparaturkosten stattgegeben und die Ansprüche auf die geltend gemachte Nutzungsentschädigung zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Zwar umfasse der zu ersetzende Schaden bei der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich auch den Wegfall der Nutzungsmöglichkeit dieses Fahrzeugs. Ein Geschädigter, der auf die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges verzichte, solle nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der einen Mietwagen in Anspruch nehme.

 

Ein solcher Anspruch entfalle jedoch, wenn der Einsatz eines Zweitwagens möglich und zumutbar sei. Vorliegend hätte der Kläger den Ford Mondeo für die Fahrten zur Arbeit und zu Privatfahrten nutzen können. Ohne Erfolg verweise der Kläger dabei auf die „Sperrigkeit“ dieses zur Mittelklasse gehörenden und für den Stadtverkehr geeigneten Fahrzeuges. Der materielle Vermögensschaden durch den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Porsche 911 werde damit objektiv durch die Möglichkeit der Nutzung des Ford Mondeo ausgeglichen.

 

„Dass es sich bei dem beschädigten Fahrzeug, einem Porsche 911, mithin einem Sportwagen, aufgrund seiner Motorisierung, Fahrleistung und Ausstattung um ein Fahrzeug aus dem deutlich gehobenen Marktsegment handelt, während es sich bei dem Ford Mondeo ledig um ein Mittelklassefahrzeug handelt, führt nicht zur Unzumutbarkeit der Nutzung des Ford Mondeo,“ betonte das OLG weiter. Die notwendige Nutzung des Ford Mondeo anstelle des Porsche 911 führe „lediglich zu einer Beschränkung des Fahrvergnügens“. Diese Beschränkung stelle allein eine in einer subjektiven Wertschätzung gründende immaterielle Beeinträchtigung dar und sei nicht vom Schädiger zu erstatten. Anderenfalls bestünde die Gefahr, die Ersatzpflicht des Schädigers entgegen den gesetzlichen Wertungen auf Nichtvermögensschäden auszudehnen.

 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

 

Keine Haftung des Pkw-Halters für abgerissenen Heckscheinwerfer in Waschstraße

Keine Verpflichtung zur Stellung des Heckscheibenwischers in waagerechte Position

Es besteht grundsätzlich keine Verpflichtung dazu, vor der Einfahrt in eine Waschstraße den Heckscheibenwischer in eine waagerechte Position zu bringen. Daher besteht grundsätzliche keine Haftung für das Abreißen des Scheibenwischers in der Waschstraße. Dies hat das Landgericht Stendal entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach der Nutzung einer Waschstraße in Stendal bemerkte ein Fahrzeugführer an seinem Fahrzeug Lackschäden. Er führte diese auf den abgerissenen Heckscheibenwischer des in der vor ihm befindlichen Fahrzeugs zurück und erhob daher Klage auf Zahlung von Schadensersatz. Der Heckscheibenwischer sei nach dem Vortrag des Klägers pflichtwidrig nicht in der waagerechten Position gewesen, sondern sei senkrecht gestellt gewesen. Das Amtsgericht Stendal wies die Klage ab. Dagegen richtete sich die Berufung des Klägers.

Kein Anspruch auf Schadensersatz

Das Landgericht Stendal bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Schadensersatz zu. Denn dem Beklagt sei keine Pflichtverletzung anzulasten. Es habe weder eine gesetzliche noch vertragliche Verpflichtung dazu bestanden, den Heckscheibenwischer vor dem Einfahren in die Waschstraße in eine waagerechte Position zu bringen. Der Beklagts ei nicht der Betreiber der Waschstraße, so dass ihn keine Verkehrssicherungspflichten treffen. 

Landgericht Stedel, Urteil vom 30.07.2022

– 22 S 6/22 – 

Heute mal etwas zum Thema Arbeitsrecht:
Strengere Nachweispflichten im Arbeitsverhältnis - Das müssen Arbeitgeber jetzt wissen

Bereits vor knapp 2 Jahren, am 31. Juli 2019, trat die europäische Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union in Kraft, die bis zum 31. Juli 2022 in nationales Recht umzusetzen ist. Ziel dieser Richtlinie ist es im Kern, eine „transparentere und vorhersehbarere Beschäftigung“ zu fördern und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu gewährleisten. Gerade noch rechtzeitig hat der Bundestag am 23. Juni 2022 ein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 in nationales Recht beschlossen (weitere Informationen finden Sie hier), das bereits zum 1. August 2022 in Kraft tritt. Betroffen von der Beschlussfassung des Bundestags ist vor allem das in der Praxis bislang nicht besonders relevante Nachweisgesetz. Für die Gestaltung von Arbeitsverträgen hat dies weitreichende Folgen, zumal ein Verstoß gegen das Nachweisgesetz zukünftig sogar eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit darstellt. Es besteht daher Handlungsbedarf.

I. Bisherige Rechtslage

Das Nachweisgesetz sieht in seiner derzeitigen Fassung bereits einige Nachweispflichten des Arbeitgebers vor, die in der arbeitsrechtlichen Praxis bislang allerdings wenig präsent sind. So war der Arbeitgeber bislang verpflichtet, spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich festzuhalten, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen.

    • Hierzu gehörten unter anderem solche Punkte, die sich üblicherweise in schriftlichen Arbeitsverträgen finden: die Bezeichnung und Anschrift der Vertragsparteien, der Beginn des Arbeitsverhältnisses, bei befristeten Arbeitsverhältnissen die vorhersehbare Dauer des Arbeitsverhältnisses, Arbeitsort und -zeit, eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der Tätigkeit sowie Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts, Urlaubsdauer und die Kündigungsfrist.

    • Zudem galten bereits besondere Nachweispflichten bei Auslandseinsätzen des Arbeitnehmers: Vor Abreise des Arbeitnehmers mussten ihm zusätzlich zu den allgemeinen Nachweispflichten auch die Dauer der im Ausland auszuübenden Tätigkeit, die Währung, in der das Arbeitsentgelt ausgezahlt wird, mit dem Auslandsaufenthalt verbundenes zusätzliches Arbeitsentgelt und Sachleistungen sowie die Bedingungen seiner Rückkehr schriftlich mitgeteilt werden.

Bezweckt wird mit den Nachweispflichten, dem Arbeitnehmer eine sichere Auskunft zum Inhalt seines Arbeitsvertrags zu geben.

Die Nachweispflichten nach dem Nachweisgesetz sind jedoch nicht konstitutiv, das Arbeitsverhältnis kommt – zum Schutz des Arbeitnehmers – also auch dann wirksam zustande, wenn der Nachweis durch den Arbeitgeber nicht rechtzeitig erbracht wird.

Kam der Arbeitgeber seinen Pflichten nach dem Nachweisgesetz nicht nach, konnte der Arbeitnehmer allerdings einen Erfüllungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen, also von diesem eine den Anforderungen des Nachweisgesetzes genügende Niederschrift der wesentlichen Vertragsbedingungen verlangen. Darüber hinaus kam im Einzelfall ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers dann in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer gerade aus dem Verstoß des Arbeitgebers gegen die Pflichten aus dem Nachweisgesetz ein finanzieller Schaden entstand, was in der Praxis allerdings äußerst selten vorkam. Bußgeldbewehrt war ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Nachweisgesetz bislang nicht.

II. Was sich jetzt ändert

Mit den beschlossenen und zum 1. August 2022 in Kraft tretenden Änderungen im Nachweisgesetz werden nun einerseits die bereits bestehenden Nachweispflichten erweitert und ergänzt, andererseits weitere Mindestanforderungen an bestimmte Arbeitsbedingungen festgelegt. Die bislang geltenden Fristen zur Erbringung des Nachweises werden verkürzt. Werden die Fristen nicht eingehalten oder wird der Nachweis seitens des Arbeitgebers nicht richtig erbracht, drohen nun empfindliche Sanktionen für Arbeitgeber. Bei Verstößen gegen die Nachweispflichten kann ein Bußgeld von bis zu EUR 2.000 pro Verstoß drohen.

Im Einzelnen:

1. Erweiterung der Nachweispflichten

 

Neben den bereits bislang geltenden Nachweispflichten zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen erweitert sich der Katalog nunmehr um weitere Punkte.

    • So müssen neben den bislang im Nachweisgesetz vorgesehenen wesentlichen Arbeitsbedingungen beispielsweise entweder das Enddatum oder die vorhersehbare Dauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses und – sofern eine solche vereinbart ist – die Dauer der Probezeit festgehalten werden.

    • Ebenso müssen – jeweils getrennt – die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts inklusive der Überstundenvergütung, Zuschläge, Zulagen und Prämien sowie etwaiger Sonderzahlungen angegeben werden. Dies umfasst auch Art und Fälligkeit der Auszahlung.

    • Ruhepausen und Ruhezeiten sowie ein etwaiges Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen sind ebenfalls Gegenstand der Nachweispflicht.

Eine wesentliche Neuerung ist ferner, dass hinsichtlich der Angaben zur Kündigung zusätzlich zur bereits bislang anzugebenden Kündigungsfrist nunmehr auch das (für Arbeitgeber und Arbeitnehmer) beim Ausspruch einer Kündigung einzuhaltende Verfahren festzuhalten ist.

    • Die Niederschrift der wesentlichen Vertragsbedingungen hat daher künftig mindestens die Information über das Schriftformerfordernis der Kündigung sowie die für die Parteien geltenden gesetzlichen, tarif- oder einzelvertraglichen Kündigungsfristen zu umfassen. Im Falle einer Probezeit ist zudem die Länge der verkürzten Kündigungsfrist festzuhalten.

    • Damit nicht genug: Der Arbeitnehmer ist zudem vom Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass er im Falle einer Kündigung die dreiwöchige Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG einzuhalten hat. Richtigerweise stellt der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung jedoch klar, dass ein falscher oder fehlender Hinweis zur Klagefrist nicht zur Unwirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung führt. Die Präklusionswirkung des § 7 KSchG soll vielmehr auch bei unterbliebenem oder falschem Nachweis gelten, sodass auch die 3-Wochen-Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage weiterhin gilt.

Darüber hinaus bestehen nun auch Nachweispflichten

    • zum Umfang des Anspruchs auf Teilnahme an von dem Arbeitgeber bereitgestellten Fortbildungen,

    • die Möglichkeit zur Anordnung von Überstunden und

    • der Identität des Versorgungsträgers im Rahmen einer Zusage der betrieblichen Altersversorgung.

Im Falle einer länger als vier aufeinanderfolgende Wochen dauernden Auslandstätigkeit des Arbeitnehmers werden auch die Unterrichtungspflichten in diesem Zusammenhang erweitert und detailliert:

    • Der Arbeitgeber muss zusätzlich das Land oder die Länder, in dem oder in denen die Arbeit im Ausland geleistet werden soll,

    • die geplante Dauer der Arbeit,

    • sofern vereinbart auch mit dem Auslandsaufenthalt verbundene Geld- oder Sachleistungen, insbesondere Entsendezulagen und zu erstattende Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten,

    • die Angabe, ob eine Rückkehr des Arbeitnehmers vorgesehen ist, und

    • gegebenenfalls die Bedingungen der Rückkehr schriftlich festhalten.

Auch der Anwendungsbereich des Nachweisgesetzes wird nun erweitert. Die bislang vorgesehene Ausnahme für Aushilfen, die für maximal einen Monat eingestellt werden, gilt nicht mehr – erfasst sind künftig alle Arbeitnehmer.

2. Verkürzte Fristen

 

Auch die bisherige Frist zur Abfassung der wesentlichen Arbeitsbedingungen von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit wird nunmehr deutlich verkürzt.

    • Bereits spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung müssen die Angaben zu Name und Anschrift der Vertragsparteien, Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts sowie vereinbarter Arbeitszeit verschriftlicht sein.

    • Spätestens sieben Tage nach Arbeitsbeginn müssen unter anderem der Beginn des Arbeitsverhältnisses, die Dauer der Probezeit und die der vereinbarten Befristung sowie Arbeitsort, Leistungsbeschreibung und die Überstundenanordnung festgehalten sein.

    • Für die übrigen Bedingungen bleibt es bei der Monatsfrist. Aus Gründen der Prozessvereinfachung empfiehlt es sich allerdings, sämtliche nach dem Nachweisgesetz erforderlichen Angaben bereits in den schriftlichen Arbeitsvertrag aufzunehmen und diesen – wie üblich – vor Beginn der Arbeitsleistung beiderseits handschriftlich zu unterschreiben und dem Arbeitnehmer eine Ausfertigung des schriftlichen Arbeitsvertrags auszuhändigen.

Ändern sich im bestehenden Arbeitsverhältnis die wesentlichen Vertragsbedingungen, reicht es künftig nicht mehr, diese spätestens einen Monat nach Änderung mitzuteilen (§ 3 NachwG a.F.). Künftig müssen die Änderungen dem Arbeitnehmer an dem Tag, an dem sie wirksam werden, schriftlich mitgeteilt werden.

3. Neu: Die Sanktionierung von Verstößen

 

Die auffälligste Neuerung im Nachweisgesetz ist nunmehr im neuen § 4 geregelt: Demnach stellt ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus dem Nachweisgesetz künftig eine Ordnungswidrigkeit dar. Pro Verstoß droht ein Bußgeld von bis zu EUR 2.000, wenn der Arbeitgeber seiner Nachweispflicht entweder

    • überhaupt nicht,

    • nicht richtig,

    • in der falschen Form,

    • unvollständig

    • oder nicht rechtzeitig nachkommt.

Gerade mit Blick auf die neu eingeführten Sanktionen empfiehlt es sich, für den Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen, die kürzeste der oben genannten Fristen zu beachten und dem Arbeitnehmer die verschriftlichten wesentlichen Arbeitsbedingungen spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung auszuhändigen.

Wie auch bislang bleibt es allerdings dabei, dass die Nachweispflichten nicht konstitutiv sind und ein Verstoß gegen die Nachweispflichten die Wirksamkeit des Arbeitsverhältnisses als solches nicht berührt.

4. Digitalisierung weiterhin nicht in Sicht

 

Obwohl die europäische Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union ausdrücklich ermöglicht, die Arbeitsbedingungen in elektronischer Form abzufassen und dem Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen, sieht der Gesetzgeber im neuen Gesetz hiervon ab. Es gilt also wie bislang, dass die wesentlichen Arbeitsbedingungen nach dem Nachweisgesetz in Schriftform ausgehändigt werden müssen. Arbeitgeber kommen also auch künftig zur Erfüllung der Pflichten aus dem Nachweisgesetz nicht umhin, die Arbeitsbedingungen auf Papier festzuhalten, handschriftlich zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer das Schriftstück auszuhändigen. Nicht ausreichend ist es dagegen, dem Arbeitnehmer die unterzeichneten Bedingungen als Scan zur Verfügung zu stellen oder diese lediglich digital zu unterzeichnen.

5. Weitere Änderungen

 

a) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

Der Gesetzgeber sieht zudem Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vor: So werden die in § 11 geregelten Nachweispflichten um die Pflicht zum Nachweis über die Identität des Entleihers erweitert.

    • Dem Leiharbeitnehmer müssen jetzt vor jeder Überlassung Firma und Anschrift des Entleihers in Textform mitgeteilt werden.

    • Zusätzlich wird der Entleiher verpflichtet, Leiharbeitnehmern, die ihm mindestens sechs Monate überlassen sind und die in Textform ihren Wunsch nach Abschluss eines Arbeitsvertrags äußern, eine begründete Antwort in Textform innerhalb eines Monats zu übermitteln. Welchen Inhalt und Umfang die begründete Antwort haben soll, lässt der Gesetzgeber indes offen.

b) Teilzeit- und Befristungsgesetz

Auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) wird zum 1. August 2022 angepasst:

    • Eine in einem befristeten Arbeitsverhältnis etwaig vereinbarte Probezeit muss nun in einem angemessen Verhältnis zur Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses und zur Art der Tätigkeit stehen. Hiervon werden voraussichtlich insbesondere kurze Befristungen betroffen sein, bei denen eine bislang zulässige Probezeit von 6 Monaten unter Umständen künftig nicht mehr zulässig sein wird, diese stattdessen nur wenige Wochen oder Monate dauern darf.

    • Ist ein befristet eingestellter Arbeitnehmer bereits länger als sechs Monate für den Arbeitgeber tätig, kann er dem Arbeitgeber den Wunsch nach Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnis anzeigen. Der Arbeitgeber ist dann wiederum verpflichtet, dem Arbeitnehmer innerhalb eines Monats eine begründete Antwort in Textform zu geben. Aus welchem Inhalt und Umfang die begründete Antwort bestehen soll, lässt der Gesetzgeber auch hier offen.

c) Gewerbeordnung

Zudem erfährt auch die Gewerbeordnung (GewO) eine Änderung: Gemäß § 111 GewO dürfen Arbeitnehmern die Kosten für eine Fortbildung nicht auferlegt werden, wenn der Arbeitgeber durch oder aufgrund eines Gesetzes, durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung verpflichtet ist, die Fortbildung anzubieten. Solche Fortbildungen sollen während der Arbeitszeit stattfinden. Soweit sie außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt werden müssen, gelten sie als Arbeitszeit.

6. Verweis auf Kollektivvereinbarungen weiterhin möglich

 

Der Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen kann auch weiterhin durch einen Verweis auf die im Arbeitsverhältnis anwendbaren Kollektivvereinbarungen wie Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen ersetzt werden. Voraussetzung hierfür ist indes, dass die jeweilige Kollektivvereinbarung die entsprechende Regelung zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen enthält.

Arbeitgeber sollten nun handeln

Für Arbeitgeber, die sich bisher ihrer Vertragsmuster bedient haben, besteht nun dringender Anpassungsbedarf. Bei der Überarbeitung der Vorlagen sollte jetzt – angesichts drohender Bußgelder noch mehr als zuvor – darauf geachtet werden, dass sämtliche durch das Nachweisgesetz geforderte Angaben enthalten sind.

Was gilt für Altverträge?

Die gute Nachricht ist zwar, dass Altverträge, die vor dem 1. August 2022 geschlossen wurden, nicht angepasst werden müssen. Es besteht jedoch die Pflicht des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer auf sein Verlangen innerhalb von sieben Tagen die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich auszuhändigen. Angesichts dieser sehr kurzen Frist ist es ratsam, für einen solchen Fall eine entsprechende Vorlage der wesentlichen Vertragsbedingungen zur Hand zu haben, die den Anforderungen des geänderten Nachweisgesetzes genügt.

 

https://www.noerr.com/de/newsroom/news/strengere-nachweispflichten-im-arbeitsverhaltnis

Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss vom 27.06.2022, 2 RBs 85/22

Schlagworte/Normen:

StVZO § 34 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 1

BKat   Nr. 198.1.3

OWiG § 80 Abs. 

 

Leitsätze:

1.Für den Fahrlässigkeitsvorwurf bei einer Überladung kommt es nicht darauf an, ob der Fahrzeugführer die Überladung erkennen konnte, sondern darauf, ob er sie hätte vermeiden können.

 

2.Wird das zulässige Gesamtgewicht durch die Ladung nahezu erreicht, besteht keine Gewähr dafür, dass auch die zulässigen Achslasten, bei einem Sattelzug insbesondere die für die Antriebsachse zulässige Achslast, eingehalten werden. Ohne Überprüfung mit einer Achslastwaage oder einem bordeigenen Wiegesystem muss der Fahrzeugführer die Ladung so weit verringern, bis er sich hinsichtlich der Einhaltung der zulässigen Achslasten auf der sicheren Seite befindet.

 

Siehe:

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/duesseldorf/j2022/2_RBs_85_22_Beschluss_20220627.html

Oberlandesgericht Celle Urteil vom 08.06.2022, 14 U 118/21

Schlagworte/Normen:

 Unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bei einer größeren Kolonne von Fahrzeugen

Leitsätze:

  1. Wer ordnungsgemäß zum Überholen einer Kolonne angesetzt hat, hat gegenüber ausscherenden Fahrzeugen aus der Kolonne Vorrang, auch wenn im weiteren Verlauf die Absicht, links abzubiegen, erkennbar wird.

    2. Das Überholen einer großen Kolonne von 9-10 Fahrzeugen, ohne dass eine unklare Verkehrslage vorliegt, ist grundsätzlich erlaubt und führt nicht zu einem Mitverschulden. Ggf. kommt jedoch eine erhöhte Betriebsgefahr zum Ansatz.

    3. Verletzt der aus einer Kolonne Abbiegende seine Pflichten aus § 9 Abs. 1 StVO und kommt es deshalb zu einem Zusammenstoß mit einem die Kolonne ordnungsgemäß Überholenden, trifft den Abbiegenden die überwiegende Haftung (vorliegend 75 Prozent).

 

Siehe:

 

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=KORE260342022&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

 

Bundesgerichtshof
Urteil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 422/21

Schlagworte/Normen:

 

Bundesgerichtshof zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal sowie zum Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB gegen die Volkswagen AG bezüglich eines von ihr hergestellten und in ein Neufahrzeug der AUDI AG eingebauten Dieselmotors des Typs EA 189

 

Volltext PE:

 

Der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zuständige VII. Zivilsenat hatte erneut über die Verjährung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal zu entscheiden sowie über einen gegen die Volkswagen AG geltend gemachten Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB bezüglich eines von dieser hergestellten und in ein Neufahrzeug der AUDI AG eingebauten Dieselmotors des Typs EA 189.

 

Sachverhalt:

 

Die Klägerin nahm die beklagte Volkswagen AG wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug Audi Q5 2.0 TDI, das im Dezember 2011 bei einem Autohändler als Neuwagen zum Preis von 54.000 € erworben worden war, auf Schadensersatz in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Der Motor enthielt eine Steuerungssoftware, durch welche auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb („Umschaltlogik“).

 

Am 22. September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung, wonach Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 im Gesamtvolumen von weltweit elf Millionen Stück auffällig seien. In der Folge wurde über die Thematik in den Medien umfangreich berichtet und diese allgemein als „Abgas-“ beziehungsweise „Dieselskandal“ bezeichnet. Auch über die Betroffenheit anderer Konzernmarken wie Audi wurde von Anfang an berichtet. Am 25. September 2015 gab die Beklagte öffentlich bekannt, dass an einer technischen Lösung gearbeitet werde. Am 29. September 2015 informierte sie darüber, dass sie einen Aktionsplan erarbeitet habe, nach dem den Behörden Maßnahmen vorgeschlagen, Kunden informiert und eine Webseite zur individuellen Überprüfung erstellt würden. Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Webseite frei, auf der jedermann unter Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Motor ausgestattet war. Hierüber informierte die Beklagte mit Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015, worüber in den Medien berichtet wurde. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch oder schriftlich bei der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Im Dezember 2015 gab die Beklagte das Ziel aus, die Erfüllung der Abgasnormen ohne Beeinträchtigung der Motorleistung, des Verbrauchs und der Fahrleistungen zu erreichen. Kunden wurden gebeten, vor aktiver Kontaktaufnahme zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb weitere schriftliche Informationen abzuwarten.

 

Mit ihrer im Jahr 2020 eingereichten Klage hat die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verlangt. Sie hat behauptet, erst durch ein Schreiben der AUDI AG im Januar 2017 von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Abgasskandal erfahren zu haben. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

 

Bisheriger Prozessverlauf:

 

Die Klage hatte in den Vorinstanzen weitgehend Erfolg. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, ein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sei nicht verjährt.

 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

 

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Klage insgesamt abgewiesen.

 

Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB ist verjährt. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, die Klägerin habe die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB erst im Jahr 2017 erlangt. Grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs lag vielmehr schon bis Ende 2016 vor. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann daher mit Schluss des Jahres 2016 und konnte durch die im Jahr 2020 erhobene Klage nicht mehr gehemmt werden.

 

Ausgehend von ihrer – außer Streit stehenden – allgemeinen Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Veranlassung, die Betroffenheit ihres Fahrzeugs zu ermitteln. An den diesbezüglichen Grundsätzen seiner Rechtsprechung (Pressemitteilung Nr. 18/2022 vom 10. Februar 2022) hat der VII. Zivilsenat festgehalten. Dass die Klägerin nach einer allgemeinen Ankündigung der Beklagten, die Kunden zu informieren, kein Anschreiben im Jahr 2016 bekommen haben will, und Kunden Ende 2015 noch gebeten wurden, vor aktiver Kontaktaufnahme zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb weitere schriftliche Informationen abzuwarten, begründete kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen der Klägerin darauf, ihr Fahrzeug sei nicht betroffen. Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren. Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig.

 

Das Berufungsurteil erwies sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Soweit die Klägerin in der Revisionsverhandlung auf hilfsweises Vorbringen betreffend einen Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB Bezug genommen hat, folgt auch hieraus keine Haftung der Beklagten.

 

Wie der VII. Zivilsenat ebenfalls schon entschieden hat (Pressemitteilung Nr. 18/2022 vom 10. Februar 2022), setzt ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB in Fällen der vorliegenden Art jedenfalls voraus, dass die Beklagte im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat. Eine solche Vermögensverschiebung im Sinne von § 852 Satz 1 BGB ist im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu verneinen. In der vorliegenden Konstellation des Erwerbs eines von einer Tochtergesellschaft der Beklagten hergestellten und in den Verkehr gebrachten Fahrzeugs, das mit einem von der Beklagten hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor ausgestattet ist, scheidet ein Anspruch des Geschädigten nach § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte regelmäßig auch dann aus, wenn der Geschädigte das Fahrzeug als Neuwagen erworben hat. Denn in diesen Fällen hat die Beklagte einen wirtschaftlichen Vorteil allenfalls im Zusammenhang mit der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt und nicht durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde. Der schadensauslösende Vertragsschluss über den Fahrzeugerwerb zwischen Geschädigtem und Fahrzeughändler einerseits sowie ein möglicher Vorteil der Beklagten aus der konzerninternen Überlassung des Fahrzeugmotors an den Fahrzeughersteller andererseits beruhen gerade nicht auf derselben – auch nicht nur mittelbaren – Vermögensverschiebung, wie sie der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB voraussetzt. Dem Motorhersteller, der einen Vorteil bereits mit der Herstellung und Veräußerung des Motors realisiert hat, fließt im Zusammenhang mit dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags und dem hierauf beruhenden Vermögensschaden des geschädigten Fahrzeugerwerbers durch seine (des Motorherstellers) unerlaubte Handlung nichts – mehr – zu.

 

Entgegen der von der Beklagten in der Revisionsverhandlung vertretenen Einschätzung liegt in den zu Gebrauchtwagen ergangenen Urteilen des VII. Zivilsenats vom 10. Februar 2022 (siehe dazu Pressemitteilung Nr. 18/2022) verwendeten Begriffen eines „etwaigen“ Vorteils beziehungsweise „etwaigen“ Verkäufergewinns keine Abweichung von der Rechtsprechung des VIa. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Anwendung von § 852 Satz 1 BGB auf Neuwagenfälle, die der VII. Zivilsenat vielmehr inhaltlich teilt. Die betreffenden sprachlichen Einschränkungen sind, wie sich bereits aus dem Gesamtzusammenhang der jeweiligen Entscheidungsgründe ohne Weiteres erschließt, ausschließlich dem Umstand geschuldet, dass das tatsächliche Vorhandensein eines „Gewinns“ oder „Vorteils“ mangels Entscheidungserheblichkeit jeweils dahinstehen kann beziehungsweise konnte.

 

Dass im Ausgangspunkt auch eine deliktische Haftung des Motorherstellers gegenüber dem Fahrzeugerwerber in Betracht zu ziehen ist, wenn der Motorhersteller den Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausstattet und in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von seiner Tochtergesellschaft in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird, steht nicht entgegen. Denn die deliktische Haftung knüpft in diesen Fällen daran an, dass der Motorhersteller sich bereits bei der dem Fahrzeugerwerb vorgelagerten Herstellung des Motors und der Programmierung der Motorsteuerungssoftware die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer in die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zunutze gemacht hat. Diese Tatbestandsvoraussetzung der Schadensersatzhaftung ist jedoch von der Frage zu trennen, ob der Schädiger durch die unerlaubte Handlung selbst etwas im Sinne von § 852 Satz 1 BGB auf Kosten des Geschädigten erlangt hat.

 

Auch der Umstand, dass die beklagte Motorherstellerin als Konzernmutter der Fahrzeugherstellerin mit dieser wirtschaftlich verflochten ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Umsatzerlös der Tochtergesellschaft aus dem Verkauf eines von ihr hergestellten Fahrzeugs begründet weder unmittelbar noch mittelbar einen damit deckungsgleichen Wertzuwachs des Geschäftsanteils der Muttergesellschaft. Dass nach dem Vortrag der Klägerin zwischen der Beklagten und der Fahrzeugherstellerin ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht, ist ebenfalls unerheblich. Denn insoweit hat die Beklagte allenfalls einen Vorteil im Zusammenhang mit einem etwaigen Gesamtgewinn der Fahrzeugherstellerin im Geschäftsjahr 2011 erzielt, nicht jedoch – worauf es im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB entscheidend ankommt – konkret im Zusammenhang mit dem – im Streitfall an den Fahrzeughändler – gezahlten Kaufpreis.

Das angefochtene Urteil konnte daher keinen Bestand haben. Der Bundesgerichtshof konnte in der Sache selbst entscheiden, da weitere tatsächliche Feststellungen, die für die jedenfalls Ende 2016 vorliegende grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs oder die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB bedeutsam sein könnten, weder erforderlich noch zu erwarten waren.

 

Siehe:

 

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2022&Sort=3&nr=130577&pos=0&anz=109

Amtsgericht Frankfurt am Main Urt. v. 03.06.2022, 974 OWi 533 Js-OWi 18474/22 – veröffentlicht am 30.06.2022

Schlagworte/Normen:

Rotlichtverstoß mit einem SUV rechtfertigt höheres Bußgeld

 Volltext PE:

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass bei Rotlichtverstößen mit einem so genanntes Sport Utility Vehicle (SUV) eine Erhöhung der Regelgeldbuße angemessen sein kann (Amtsgericht Frankfurt am Main, Urt. v. 03.06.2022, 974 OWi 533 Js-OWi 18474/22).

 

Nach den Feststellungen des Gerichts in einem Bußgeldverfahren fuhr der Betroffene in Frankfurt am Main (Kreuzung Friedrich-Ebert-Anlage) mit seinem Fahrzeug, einem so genannten Sport Utility Vehicle der Marke BMW (kurz SUV), das von seiner Bauart dadurch von normalen Kraftfahrzeugen in der Art abweicht, dass es über eine erhöhte Bodenfreiheit verfügt, in den durch die Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzungsbereich ein. Die Rotphase dauerte zu diesem Zeitpunkt bereits länger als 1,1 Sekunden.

 

Das Amtsgericht, das die Richtigkeit der mittels einer fest installierten Messsäule vorgenommenen Messung im Übrigen feststellte, sah aufgrund der besonderen Fahrzeugbeschaffung im konkreten Fall eine Erhöhung der hierfür durch den geltenden Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelgeldbuße für veranlasst.

 

Diese sei durch die erhöhte Betriebsgefahr des verwendeten Kraftfahrzeugs gerechtfertigt, dessen kastenförmige Bauweise und erhöhte Frontpartie das Verletzungsrisiko für andere Verkehrsteilnehmer erhöhe. Aufgrund der größeren abstrakten Gefährdung durch das Tatfahrzeug stelle sich nach Auffassung des Amtsgerichts Frankfurt am Main der begangene Rotlichtverstoß gravierender als der Normalfall dar. Dies gelte insbesondere unter Beachtung der Zielsetzung des §37 StVO zu Wechsellichtzeichen, der den Schutz der querenden Verkehrsteilnehmer im Kreuzungsbereich von Lichtzeichenanlagen bei einer Kollision bezweckt.

 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

 

Siehe:

 

https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/rotlichtversto%C3%9F-mit-einem-suv-rechtfertigt-h%C3%B6heres-bu%C3%9Fgeld

 

Volltext Urteil:

 

https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE220003013

Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil vom 22.6.2022, Az. 17 U 21/22 – veröffentlicht am 7.07.2022

Schlagworte/Normen:

 

Hälftige Haftung bei Unfall auf Parkplatz eines Baumarktes

 

Volltext PE:

 

Auf Fahrgassen eines Parkplatzes, die vorrangig der Parkplatzsuche dienen und nicht dem fließenden Verkehr, gilt nicht die Vorfahrtsregel „rechts vor links“. Die Fahrer sind vielmehr verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem anderen Fahrer zu suchen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichter Entscheidung eine hälftige Haftungsquote für die Unfallfolgen auf einem Parkplatz eines Baumarktes ausgesprochen.

 

Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Der Unfall ereignete auf dem Parkplatz eines Baumarktes in Wiesbaden. Der Betreiber hatte die Geltung der StVO angeordnet. Auf die zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes führende Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Der Beklagte befuhr eine dieser von rechts auf die Ausfahrtfahrgasse einmündenden Fahrgassen, an deren beiden Seiten sich im rechten Winkel angeordnete Parkboxen befanden. Auch die zur Ausfahrt führende Fahrgasse verfügt im linken Bereich über Parkboxen. Im Einmündungsbereich der Fahrgassen kam es zum Zusammenstoß mit dem klägerischen Fahrzeug.

 

Das Landgericht hat der Klage auf Basis einer Haftung des Beklagten i.H.v. 25 % stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers führte zu einer Abänderung der Haftungsquote auf 50%. Maßgeblich für die Höhe der Schadensersatzverpflichtung des Beklagten sei, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei, betonte das OLG. Die Verursachungsbeiträge der Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge seien hier als gleichgewichtig anzusehen und der durch den Unfall verursachte Schaden zu teilen.

 

Der Beklagte könne nicht geltend machen, dass sein Vorfahrtsrecht verletzt wurde. Zwar seien die Regeln der Straßenverkehrsordnung auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen wie hier grundsätzlich anwendbar. Fahrgassen auf Parkplätzen seien jedoch keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewährten deshalb keine Vorfahrt. „Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes…, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme…, d.h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jemals anderen Fahrzeugführer zu suchen“, unterstreicht das OLG.

 

Etwas Anderes gelte nur, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter hätten und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergebe, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienten, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für einen solchen Straßencharakter könne etwa die Breite der Fahrgassen sprechen oder auch bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben. Derartige straßentypische bauliche Merkmale fehlten hier. Die Fahrgassen dienten ersichtlich nicht dem fließenden Verkehr, da an ihnen jeweils Parkboxen angeordnet waren.

 

Da es am Straßencharakter auch für die vom Klägerfahrzeug befahrene Fahrgasse fehle, habe der Beklagte auch nicht die hohen Sorgfaltsanforderungen beim Einfahren auf eine Fahrbahn (§ 10 StVO) erfüllen müssen.

 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

 

Siehe:

 

https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/h%C3%A4lftige-haftung-bei-unfall-auf-parkplatz-eines-baumarktes

 

Bundesgerichtshof Urteil vom 5. April 2022 - VI ZR 7/21, veröffentlicht am 19.05.2022

Schlagworte/Normen:

BGB § 249 (Hb, K)

Leitsätze:

Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (hier: Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs).

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Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss vom 16.05.2022 - 2 RBs 71/22

Schlagworte/Normen:

OWiG   § 77 Abs. 2 Nr. 1, § 79 Abs. 3 Satz 1

StPO    § 344 Abs. 2 Satz 2

Leitsätze:

1.

Bei der Beanstandung, das Amtsgericht habe einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt, handelt es sich der Sache nach um eine Aufklärungsrüge, die nur dann in zulässiger Weise erhoben ist, wenn eine konkrete Beweistatsache behauptet, ein bestimmtes Beweismittel benannt und dargelegt wird, welche Umstände den Tatrichter zur weiteren Beweisaufnahme hätten drängen müssen und welches Beweisergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre.

2.

Der Tatrichter ist nicht gehalten, Unterlagen, über die auch die Ermittlungsbehörden nicht verfügen und die lediglich der Verteidiger aus seiner Perspektive für bedeutsam hält, außerhalb der richterlichen Aufklärungspflicht bei Dritten herbeizuschaffen.

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Bundesgerichtshof Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 226/20, veröffentlicht am 13.05.2022

Schlagworte/Normen:

BGB § 31, § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 826 Ga

Leitsätze:

Zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller in einem sogenannten Dieselfall (Anschluss an BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 396/21, juris Rn. 27)

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Bundesgerichtshof Urteil vom 24. März 2022 - III ZR 270/20, veröffentlicht am 12.05.2022

Schlagworte/Normen:

BGB § 826 Ga

Leitsätze:

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB in einem sogenannten Dieselfall.

Siehe:

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Oberlandesgericht Karlsruhe

Pressemitteilung vom 4. Mai (9/22) – Urteile vom 26.4.2022 (Aktenzeichen: 8 U 232/21, 8 U 418/21 und 8 U 235/21) vom 29.4.2022 (Aktenzeichen: 8 U 234/21 und 8 U 420/21) und vom 3.5.2022 (Aktenzeichen: 8 U 373/21)

Schlagworte/Normen:

OLG Karlsruhe weist Klagen zum VW-Dieselmotor EA 288 ab

Volltext PE:

Auf jeweilige Berufung der Volkswagen AG hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe nach mündlichen Verhandlungen vom 26.4.2022 in sechs Fällen Urteile von Landgerichten aufgehoben und Schadensersatzklagen abgewiesen, die Eigentümer von Fahrzeugen des VW-Konzerns mit dem Motor „EA 288“ gegen VW erhoben hatten. Bei diesem Motor handelt es sich um das Nachfolgemodell des Motors „EA 189“, der im Jahr 2015 aufgrund einer den Prüfstand erkennenden rechtswidrigen „Schummel-Software“, die eine hinreichende Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand zuließ, den sogenannten Dieselskandal ausgelöst hatte.

Zur Begründung hatten die Kläger in den nunmehr entschiedenen Verfahren geltend gemacht, sie seien aufgrund versteckter Abschalteinrichtungen in vergleichbarer Weise vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden wie die Eigentümer der mit dem Vorgänger-Motor ausgestatteten Pkws. Dieser Argumentation ist der 8. Zivilsenat nicht gefolgt. Der Senat sieht weder das sogenannte Thermofenster, das die Abgasrückführung zur Abgasreinigung außerhalb eines bestimmten Temperaturfensters reduziert oder abschaltet, als sittenwidrige Abschalteinrichtung im Sinne von § 826 BGB an noch konnte er greifbare Anhaltspunkte für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch andere geltend gemachte Abschalteinrichtungen wie etwa eine sogenannte Fahrkurvenerkennung feststellen. Insbesondere konnte der Senat jeweils nicht erkennen, dass VW den Vorsatz hatte, die Kläger mit der Konfiguration der Fahrzeuge sittenwidrig zu schädigen, nachdem dieser Motortyp über Jahre hinweg eingehend vom Kraftfahrtbundesamt auf rechtswidrige Abschalteinrichtungen hin untersucht worden ist und es bis heute keinen Grund zu Beanstandungen gesehen hat.

Der Senat hat die Revision jeweils nicht zugelassen. In den vier Verfahren, in denen die Beschwer der Klägerseite 20.000 Euro übersteigt, ist dagegen Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof statthaft. Die beiden anderen Entscheidungen sind rechtskräftig.

Weitere Informationen:

Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist für Berufungen in allen Diesel-Abgasverfahren aus den Landgerichtsbezirken Baden-Baden, Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim und Mosbach zuständig, die Fahrzeuge aus dem VW-Konzern betreffen, soweit sie nicht den Motor EA 189 eingebaut haben. Bei den nunmehr entschiedenen Verfahren handelt es sich um sechs von acht beim 8. Zivilsenat des OLG Karlsruhe anhängigen Verfahren, die den Motor EA 288 betreffen und bei denen das zuständige Landgericht der jeweiligen Klage stattgegeben hatte. Von den beiden verbleibenden Verfahren dieser Art ist ein weiteres terminiert; bei dem anderen wurde die Berufungsbegründung seitens der Beklagten verspätet eingereicht, die Beklagte hat einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. In allen weiteren rund 250 Verfahren des Senats, die diesen Motor zum Gegenstand haben, wurden die Klagen von den Landgerichten abgewiesen. Bislang hat der Senat diese Klagabweisungen in der Berufung in den bereits bearbeiteten mehr als 45 Verfahren ausnahmslos gebilligt (siehe etwa Beschluss vom 22.2.2022, 8 U 143/21).

Zu Fahrzeugen des VW-Konzerns mit 3.0 l und größeren Dieselmotoren hat der 8. Zivilsenat ebenfalls eine Rechtsprechung entwickelt. So hat er entschieden, dass die vom Kraftfahrtbundesamt beanstandete sogenannte Aufheizstrategie „A“ in Dieselfahrzeugen mit SCR-Katalysator der Emissionsklasse EU 6 grundsätzlich geeignet ist, eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen (siehe etwa Urteile vom 16.7.2021, 8 U 32/20, und vom 11.1.2022, 8 U 85/20), nicht hingegen die sogenannte Restreichweitenstrategie bei der AdBlue-Dosierung oder die insbesondere bei Fahrzeugen der Emissionsklasse EU 5 oft gerügten unterschiedlichen Getriebemodi für den Prüfstand und für die Straße (Urteil vom 22.3.2022, 8 U 177/20).

Der Senat ist darüber hinaus für Diesel-Abgasverfahren von Fahrzeugen des BMW-Konzerns zuständig. In den über 50 beim Senat anhängigen Verfahren haben die Landgerichte die Klagen stets abgewiesen. Der Senat hat dies in den bislang bearbeiteten Berufungsverfahren jeweils bestätigt.

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Bundesgerichtshof Urteil vom 8. März 2022 - VI ZR 47/21, veröffentlicht am 02.05.2022

Schlagworte/Normen:

StVG § 17; StVO § 1, Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 Zeichen 120

Leitsätze:

Bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung (Gefahrenzeichen 120 nach Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 StVO) gilt das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme (§ 1 StVO). Ein regelhafter Vorrang eines der beiden bisherigen Fahrstreifen besteht nicht.

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Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss vom 25.04.2022 - 2 RBs 51/22

Schlagworte/Normen:

OWiG § 55 Abs. 1

StPO  § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 1

Leitsätze:

Der Betroffene hat nach einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Laserhandmessgerät Riegl FG 21-P keinen Anspruch auf Einsichtnahme in das Display mit dem (noch) angezeigten Messergebnis. Das Messergebnis ist auch dann verwertbar, wenn dem Betroffenen eine solche Einsichtnahme wegen der örtlichen Gegebenheiten am Tatort (hier: Messstelle an einer Autobahn) nicht ermöglicht werden konnte.

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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 7.04.2022 - 5 RVs 35/22

 

Schlagworte/Normen:

Gebrauchtwagen, Vermögensschaden, Vorschäden, Verschweigen

StGB § 263

Leitsätze:

zur erforderlichen Darlegung des Vermögensschadens bei Verurteilung wegen Betruges aufgrund Verheimlichens von Vorschäden beim Gebrauchtwagenkauf

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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 5.04.2022 - 5 RVs 31/22

Schlagworte/Normen:

Entziehung der Fahrerlaubnis, bedeutender Schaden, Darlegungserfordernisse, Kostenvoranschlag; Wertgrenze

Leitsätze:

  • 1.

Die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt jedenfalls nicht unter 1.500 Euro.

  • 2.

Jedenfalls in Fällen, in denen der auf der Basis eines Kostenvoranschlags festgestellte Schaden nicht sehr über der Wertgrenze eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt, ist der Inhalt des Kostenvoranschlags in den Urteilsgründen näher darzulegen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob dieser tatsächlich ausschließlich Positionen enthält, die bei der Bewertung eines bedeutenden Schadens berücksichtigungsfähig sind (also etwa nicht: Mietwagenkosten).

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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 1.04.2022 - 9 U 221/21

Schlagworte/Normen:

Parkplatz, wechselseitiges Rücksichtnahmegebot, Verständigung

Leitsätze:

1. Auf einem Parkplatz, insbesondere bei Ein- und Ausparkmanövern, ist das Gesamtgeschehen zu betrachten.

2. Hierbei besteht ein wechselseitiges Rücksichtnahmegebot, insbesondere ist zwischen den Fahrzeugführern in Zweifelsfällen ein Kommunikationsakt nötig, um für beide Fahrzeuge ein unfallfreies Ein- und Ausparken zu ermöglichen.

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Wer geblitzt wurde und sich gegen den Bußgeldbescheid wehren möchte, muss die Daten des Messgeräts selbst überprüfen können. Das folgt aus der „Waffengleichheit“ zwischen Behörde und Bürger, entschied der baden-württembergische VerfGH.

Adressaten von Blitzer-Bußgeldbescheiden muss Zugang zu den Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts gewährt werden. 

Vorliegend war dem  betroffenen Autofahrer vorgeworfen worden, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h überschritten zu haben. Ihm wurde deshalb zunächst mit Bußgeldbescheid und anschließend mit Urteil des Amtsgerichtes Mannheim eine Geldbuße in Höhe von 160 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot auferlegt. Während des Bußgeldverfahrens hatte der Mann die Übermittlung der Ermittlungsakte, der Rohmessdaten sowie der Lebensakte und der Wartungs- und Reparaturnachweise des Messgeräts angefordert. 

Die Bußgeldbehörde hatte ihm daraufhin die Ermittlungsakte sowie einige der gewünschten Rohmessdaten zur Verfügung gestellt, eine Einsicht in die Lebensakte und in die Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts erhielt er hingegen nicht. Sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigten die Entscheidung mit der Begründung, die Herausgabe der Unterlagen als Beweiserhebung sei nicht erforderlich und es bestehe kein Anspruch auf Beiziehung der Akten. 

Der Autofahrer legte daraufhin Verfassungsbeschwerde ein, die nun erfolgreich war. Nach Ansicht der Verfassungsrichter stellt die Verweigerung der Einsicht in die Unterlagen durch die Instanzgerichte einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar und ist damit verfassungswidrig. Sie stützen sich dabei auch auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der festgestellt hatte, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folge. Hierbei handele es sich nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen.

Im Rechtsstaat müsse dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen, betonte der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg. Dabei wende sich das Gebot zur fairen Verfahrensgestaltung nicht nur an die Gerichte, sondern auch an die Exekutive. Ein rechtsstaatliches und faires Verfahren fordere „Waffengleichheit“ zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten andererseits. Er müsse daher möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen erhalten, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte. Dazu gehören nach Ansicht des Gerichts auch solche Inhalte, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Dadurch würden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten suchen könne. 

Diese Grundsätze seien von den Vorinstanzen verkannt worden, indem sie die Einsichtsgesuche betreffend die Wartungs- und Reparaturunterlagen als Beweisanträge bewertet und diese im Rahmen der Prüfung einer gerichtlichen Aufklärungspflicht abgelehnt hätten. Der Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen – aber vorhandenen – Informationen verpflichte aber nicht etwa das Gericht, die geforderten Unterlagen aufgrund seiner Aufklärungspflicht beizuziehen, sondern entspringe allein dem Recht des Betroffenen, die Grundlagen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs einzusehen und selbst zu prüfen. 

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